So hartnäckig hat mich schon lange keine Erkältung mehr erwischt. Aber so laaaaangsam habe ich auch mal wieder zu etwas anderem Lust, als nur rumzulungern und den sterbenden Schwan zu spielen. Daher geht es jetzt endlich mal hier weiter.
„We play ourselves.“
… war der Gedanke, mit dem ich den letzten Eintrag beendete. Und den Unterschied im RP zum einfachen Führen eines Characters möchte ich heute mal vertiefen.

Es heißt „Avatar“ in Second Life, nicht Character. Das ist schonmal das erste, was auffällt. Ich habe absolut niemanden auf dem Grid kennengelernt, der seine Figur in world „Character“ nennt. Der Unterschied ist zwar klein, aber sehr stark, und drückt ziemlich genau das aus, was ich Euch an Unterschied zu anderen virtuellen Welten näher bringen will.
Ihr erinnert Euch an den Film Avatar? Wenn nicht („Oh Gott bleib mir weg mir dem Scheiß“ ja nee is klar…), hier mal die Kurzreduktion auf das hier wesentliche, und dabei lasse ich den Pocahontas-Plot aus: Mensch begibt sich in ein technisches Gebilde, was seine Wahrnehmungen und Reaktionen auf einen Avatar überträgt. Er fühlt, riecht, hört etc. alles, was sein Wirtskörper so an Sinneseindrücken abbekommt, und gleichzeitig bewegt er den Wirtskörper, als wäre es sein eigener. Stofflich ist sein eigener Körper in der Maschine, immersiv ist er aber in dem Wirtskörper. Er *ist* der Avatar, er steuert ihn nicht einfach nur.
Und genau das ist es, was sich anders anfühlt, als in anderen virtuellen Welten: Die Immersion geht über das hinaus, was ich von woanders gewohnt bin. Nicht nur bei mir, bei den meisten anderen auch.
Für diejenigen, die ich bis hierhin noch nicht abgeholt habe, und wer den Unterschied, den ich darstellen will, noch nicht so ganz sieht, vielleicht nochmal ein anderer Beschreibungsversuch:

Man spricht in den meisten virtuellen Welten, in denen man ein alter Ego hat, von einem Character. Manchmal auch Toon, Char, was auch immer. Natürlich baut man meistens eine gewisse Beziehung zu dieser virtuellen Figur auf. Wie im klassischen Rollenspiel mit Pen & Paper „steuert“ man diese Figur. Man überlegt sich, was würde der da jetzt tun. Der da, mit seinem Hintergrund, seiner Geschichte, seinen Eigenheiten. Natürlich ist da eine Immersion vorhanden, man identifiziert sich mit der Figur. Aber meistens ist es eher eine Form wie „Das ist mein Abkömmling“, sowas wie ein Kind.
In SL kommt es aber für die meisten hart an das Maximum der Immersion, nämlich wie im Film Avatar heran: Das ist nicht nur meine Figur, die ich steuere, sondern das *bin* ich. Das ist eher das, wie ich Second Life empfinde. Ich denke, eine ähnliche Immersion bekommt man in LARPs, allerdings habe ich selbst noch an keinem teilgenommen. Vielleicht kann mein Brüderchen da nachhelfen.
Als ich meine ersten Gehversuche in SL gemacht habe, habe ich das natürlich nicht so wahrgenommen. Da war keine Immersion, da war nur „Wie funktioniert das, und was mache ich als nächstes?“ Aber je mehr ich über das Grid gezogen bin, mit je mehr Leuten ich gesprochen habe, umso mehr hat mich das erwischt, was dort gang und gäbe ist (ja, das ist richtig geschrieben, ich habe gerade nachgeschaut).

Es wirkt am Anfang durchaus ein wenig skurril, vielleicht auch ein bisschen krank. Aber das oben beschriebene Eintauchen in das ganze ist bei den meisten so extrem stark, dass man wirklich zwar zuerst eventuell davon abgeschreckt (sogar ich, der mit sowas wirklich gut kann, hatte erstmal den „ööööh…“-Effekt), aber letztendlich davon angesteckt wird. Ich habe das noch nie so stark und bei einem so großen Publikum auf einmal erlebt, wie bei Second Life.
Am Anfang ist man da irgendwie noch etwas scheu. Es fühlt sich auf der einen Seite falsch an, auf der anderen Seite aber auch absolut richtig. Es ist kein Leben, wie man es führen *würde*, keine Unterhaltung, die man seinem Character und seiner Vorgeschichte entsprechend sich überlegt und abwägt, ob das jetzt konform ist und in einen Plot passt. Man „lebt“ es einfach. Man ist da, in dieser virtuellen Welt, die alles hat. Alles, was man sich nur vorstellen kann. Von Plätzen, die es auch in der Realität gibt, über die magischsten Orte, bis hin zu surrealen und kranken, wie sie nur in den schlimmsten Albträumen im Kopf auftauchen. Auf dem Grid gibt es das. Und es wird als (virtuelle) Realität hingenommen und so damit umgegangen.
Jemand, der einen Fuchs spielt (Stichwort „Furry“, komme ich später noch dazu), äh, Verzeihung: Ein Fuchs *ist*, wird nicht im Klamottenladen aufhören, Fuchs zu sein. Er wird auch als Fuchs das virtuelle Disneyland besuchen, er wird auch als Fuchs in einen Club gehen. Und er wird wahrscheinlich dabei nicht der einzige sein. Okay, vielleicht ist auch noch ein Erzdämon, ein Flaschengeist oder ein Vampir dabei.

Kurzer Einschub zum Thema „Fuchs spielen“ und „Fuchs sein“: Man wird es auf dem Grid kaum erleben, dass jemand sagt „Ich spiele einen XYZ“, es sei denn, er betreibt Rollenspiel im klassischen Sinne (komme ich gleich dazu). Mit absolut wenigen Ausnahmen wird man immer hören: „Ich *bin* ein XYZ“.
Relativ früh habe ich einen Satz gelesen, der in etwa so lautete: Hab keine Scheu, an diesem Ort zu sein, und das zu sein, was Du bist. Und hab keine Angst davor, dass andere Dich deswegen auslachen oder hänseln, denn sie sind genau aus dem gleichen Grund wie Du an diesem Ort.
Ich weiß nicht mehr genau, wo ich den gelesen hatte, aber das ist auch nicht wichtig, denn er trifft sehr allgemein. Und er trifft gut.
Das trägt dann manchmal sehr merkwürdige, aber wenn man mal ein wenig drüber nachdenkt, folgerichtige Stilblüten. Achtung, das folgende hört sich jetzt vielleicht sehr schräg an. Und für jemand außenstehenden, der das Grid noch nicht tiefer erlebt hat, durchaus auch befremdlich, das will ich gar nicht abstreiten. Aber ich hoffe, dass ich Euch mit meinen bisherigen Zeilen ein klein wenig darauf vorbereitet habe. Nein, keine Angst, der Schweinkram kommt noch nicht. Es ist nur eine kleine Episode aus meinem virtuellen Leben auf dem Grid, die hier ganz gut reinpasst.
Nachdem ich schon eine zeitlang meinen Club hatte (mehr dazu in einem der nächsten Blogs), wurde ein anderer Clubbesitzer darauf aufmerksam. Natürlich steht mein Club in meinem Profil, und er hat mich darauf angesprochen. Nicht negativ, nicht aus Konkurrenzdenken, sondern aus aufrichtigem Interesse. Wir sind ins Gespräch gekommen, haben uns gegenseitig unsere Clubs gezeigt. Ich ihm meinen kleinen Bauchladen, und er mir seinen eher quietschbunten, von seiner Schwester eingerichteten. Wir haben uns weiter unterhalten über alles mögliche. Er ist ein Vampir und im Besitz von über 400 Seelen. Aber er jagt keine Seelen mehr, hat sich quasi in den Ruhestand begeben.

Stattdessen hat er ein neues Steckenpferd: Mittelalter Rollenspiel. Kurz darauf habe ich in seinem Palast gestanden, den er gerade am Bauen ist. Er ist natürlich noch nicht fertig gewesen, hat mich aber direkt an Herrenchiemsee erinnert. Wie viele Paläste hat er ihn Versailles nachempfunden, aber Versailles ist nunmal groß und protzig. Da erzählte ich ihm von Herrenchiemsee, jenem Kleinod am Chiemsee, das König Ludwig II. gebaut hat, und das ich mit meinem Eltern als kleines Kind im Urlaub besucht habe. Ich habe ihm die Webseite gezeigt, und er war begeistert. Das war genau das, was er sich vorgestellt hat für sein Mittelalter RP, und er würde sich bestimmt viele Anregungen daher holen.
Nochmal zur Rekapitulation: Ein Vampir im Ruhestand, der einen bunten Tanzclub mit seiner Schwester hat, baut nun Herrenchiemsee nach, um dort Mittelalter Rollenspiel zu betreiben.
Ich glaube, allzu viel mehr Ebenen hat Inception nicht, oder?
Das einzige, was dabei der klassichen Rollenspielauffassung aus Dungeons&Dragons und Konsorten entspricht, dürfte das Mittelalter Rollenspiel sein, was er dort betreiben will. Das wird einen Plot haben mit allem drum und dran. Der Rest ist gewachsen, hat sich ergeben. Ist damit aber viel stärker, denn man merkt es nicht. Es ist einfach wie selbstverständlich da.
Und das hier beschriebene ist keine Ausnahme. Absolut nicht. Wenn man beginnt, mit Leuten auf dem Grid zu interagieren, lässt es sich gar nicht vermeiden, Teil von solchen Geschichten zu werden.

Keine Angst, man muss da nicht aktiv mitmachen. Ihr erinnert Euch? „We play ourselves.“ Und wenn ich der bodenständige bin, der mit Vampiren nichts am Hut hat, dann bin ich das. Aber ich kann dem anderen trotzdem zuhören, ihn als Vampir akzeptieren, seine Geschichte erfahren und meistens sogar erleben. Und auch er wird mich als Geschichte erleben, selbst wenn ich mich gar nicht so weit weg von der echten Realität wage, wie mein Gegenüber vielleicht. Das ist nicht schlimm, und auch voll in Ordnung. Jeder geht so weit, wie er will, macht das, was er will, und vor allem: Ist das, was er will. Ein Umstand, der auf dem Grid wie selbstverständlich akzeptiert wird. Schade, dass es das im echten Leben verdammt selten gibt. Ihr erinnert Euch noch an meinem Exkurs in Sachen Akzeptanz und Toleranz? Hier isst der eine Zucchini, der andere Rosenkohl. Sie sitzen im gleichen Restaurant, beiden schmeckts, und sie unterhalten sich sehr interessiert.
Ich will nicht leugnen, dass das ganze gefährlich ist. Gefährlicher als in jeder anderen Multiplayer-Geschichte, die ich je erlebt habe. Die Immersion ist wesentlich stärker, als sie woanders ist, und natürlich darf und muss man sich die Suchtfrage stellen.
Dass die Einschätzungen unserer „Wenn man keine Ahnung hat – einfach mal Fresse halten“-Politiker völlig an der realen und virtuellen Realität vorbei gehen, und noch nichtmal ansatzweise Bodenhaftung zeigen, brauche ich glaube ich nicht erwähnen.
Natürlich kenne ich viele Leute, die es mit dem Online-Spielen übertrieben haben. Ich selbst will mich da gar nicht ausschließen, da ich durchaus selbst mindestens auf der Grenze rumgewandelt zu sein. Aber ein Suchtverhalten, sodass man den letzten Fuß in der Realität verliert, dass man keine Bodenhaftung mehr hat (so, wie unsere Politiker…), dass man nur noch in der virtuellen Realität leben *kann*, dass man mit der Wirklichkeit nicht mehr umgehen kann, das habe ich extrem selten erlebt.

In meiner Multiplayer-Spiellaufbahn haben 2 Menschen, mit denen ich gespielt habe, und mit denen ich viele schöne Stunden, Tage, Wochen und Monate verbracht habe, den Freitod gewählt. Bei einem weiß ich es ganz sicher, dass es aus besagtem Grund passiert ist, beim anderen sind mir die näheren Umstände nicht bekannt, aber ich halte die Wahrscheinlichkeit für sehr hoch, dass es ähnliche Gründe waren.
Ja, es gibt sie. Es gibt die Suchtkranken, die wirklich professionelle Hilfe benötigen. Aber: Meiner Erfahrung nach sind das Leute, die eine psychische Krankheit bereits mitbringen. Die eine Veranlagung haben. Sie bekommen diese Veranlagung nicht dediziert durch ein Spiel wie World of Warcraft oder Shooter oder sonst was. Natürlich ist das Spiel der Auslöser. Aber der Auslöser kann genauso gut vieles anderes sein.
Abgesehen von Drogen gibt es Leute, die sind zum Beispiel tennissüchtig. Ja! Hängen den ganzen Tag im Tennisclub herum, bauen da ihr soziales Leben auf, und die Realität außerhalb des Tennisclubgeländes existiert für sie nicht. Ist das so viel anders, als sich in einer virtuellen Welt zu verlieren? Ich behaupte absolut nein. Es ist exakt das gleiche. Die Leute haben eine Veranlagung, und die wird durch einen Katalysator ausgelöst.
Nur, was kann man dagegen tun? Natürlich, Dummschwätzpolitik redet gleich von verbieten. Werden dann auch Tennisclubs verboten? Werden Spielhallen verboten? Es lassen sich bestimmt noch viele Dinge aufzählen, die für einen Bruchteil der Bevölkerung als Katalysator zum Ausbruch von Süchten aufgezählt werden können, und die nicht unter das Stichwort „Droge“ fallen.

Aber ist es dann wirklich die Aufgabe der Politik, alles zu verbieten, was süchtig machen kann, auch wenn es nur ein kleiner Prozentsatz ist? Lasst mich in meinem langen Online-Leben in virtuellen Welten mal die Anzahl der Leute, die ich als „gefährlich süchtig“ einstufen würde, auf 5, vielleicht 10 schätzen. Und ich habe viele Leute kennengelernt. Das finde ich einen verschwindend geringen Prozentsatz im Gegensatz zu anderen suchtgefährdenden Dingen, bei denen kein Hahn danach krähen würde. Auch wenn meine Einschätzung natürlich überhaupt keine wissenschaftliche Basis hat und absolut subjektiv ist, so muss ich doch natürlich zugeben, dass ich wirklich hardcore gespielt habe und gut an der Grenze rumgeschrammt bin. Also da, wo ich eigentlich vermehrt auf solche Leute hätte treffen sollen. Na gut, ich gebe zu, 2 Freitode sind 2 zu viel, überhaupt keine Frage. Allerdings ist das leider bei dieser Krankheit des Realitätsverlustes so: Sie endet meistens mit dem Tod. Dem frei gewählten. Ich vermeide bewusst das Wort „Selbstmord“, wie Ihr wahrscheinlich merkt.
Bei dem einen von beiden, bei dem ich weiß, dass es tatsächlich aus diesem Grund passiert ist, wäre das definitiv auch ohne das Spiel (in diesem Falle World of Warcraft) passiert. Das geht aus seiner Korrespondenz davor und seinem Abschiedsbrief eindeutig hervor, und auch seine Mutter ist sich da absolut sicher. Wäre WoW nicht der Auslöser gewesen, wäre es etwas anderes gewesen. Es ist erschreckend zu lesen, wie realistisch trotz des Realitätsverlustes er seine Situation gesehen hat. Wie klar und messerscharf seine Gedanken waren. Er war sich voll bewusst, was mit ihm los war. Und trotzdem war er unfähig, mit der echten Welt zu interagieren. Ich möchte da auch nicht näher ins Detail gehen jetzt, oder gar groß in Szene setzen. Wer an Details interessiert ist, der darf mich gerne anschreiben. Ich möchte damit nur unterstreichen, dass das Spiel zwar wie gesagt der Auslöser war, aber das nicht am Spiel an sich lag, sondern vieles andere auch zum Ausbruch hätte führen können.
Wie geht man damit um? Schwierig. Sehr schwierig. Als jemand, der in der virtuellen Welt mit demjenigen interagiert, ist es verdammt schwer, da auf irgendeinen grünen Zweig zu kommen. Diejenigen schotten ihr echtes Leben total nach innen ab, man kommt nicht an sie ran. Man fühlt sich da schon absolut hilflos und in einer verdammt beschissenen Situation, weil man so absolut nichts tun kann. Und das nur in dem Fall, wo man es überhaupt ansatzweise mitbekommt. Meistens bekommt man es nämlich gar nicht mit, alles ist prima, alles ist supi.

Natürlich kann man einen Support-Mitarbeiter anschreiben, dass man die Befürchtung hat, dass sich da jemand das Leben nehmen will. Das habe ich auch schon manchmal erlebt. Aber so weit merkt man es meistens ja gar nicht mal. Wer schreibt schon ein Ticket mit den Worten „Also ich glaube, der hat Realitätsverlust und vernachlässigt sein echtes Leben.“ und was soll dann passieren? Hier Lösungen auszuarbeiten, das halte ich für viel wichtiger, als einfach zu verbieten. Denn wir wissen ja: Was verboten ist, ist erst recht interessant. Ein Prinzip, was bei manchen Leyenpolitikern (auch dieses Wort ist richtig geschrieben) wohl nie angekommen ist.
Dieses traurige, aber auch meiner Meinung nach notwendig zu diskutierende Thema, will ich damit auch abschließen. Ich denke, ich habe meinen Standpunkt dazu rüberbringen können.
Also zurück zum Eintauchen, zum „Eins werden“ mit dem Avatar.
Ich weiß nicht, ob es diese Begriffe bereits gibt, aber ich würde das „klassische“ Rollenspiel als „geschlossenes“ Rollenspiel bezeichnen, wohingegen das hier beschriebene als „offenes“ Rollenspiel. Falls diese Begriffe bereits belegt sind, oder falls es bessere andere Begriffe dafür gibt: Her damit. Übernehme ich gerne. Aber ich benutze sie jetzt einfach mal, um entsprechende Begrifflichkeiten zu haben.
Warum „geschlossen“? Klassisches Rollenspiel ist völlig abgeschottet gegen die Realität. Es mag natürlich sein, dass viele Leute einige ihrer eigenen Wesenszüge mit hineinbringen in den Character, aber grundsätzlich existiert da überhaupt keine Verbindung. Der Zwerg, Elf, was auch immer, ist völlig hermetisch von seinem Spieler abgeschottet. „Weiß“ noch nichtmal, dass es ihn gibt.
Nun könnt Ihr Euch denken, was dann vom „offenen“ zu erwarten ist. Die Richtung vom User vor dem Bildschirm zum Eintauchen in seinen Avatar habe ich ja schon beschrieben. Alleine diese Verbindung ist so viel stärker und alles andere als abgeschottet, als bei klassischen Rollenspielen. Wirklich skuril wird es, wenn der Avatar dann anfängt, über das echte Leben seines Users zu erzählen. Und das tun viele.

Es fließt ebenso selbstverständlich in ein Gespräch ein, dass man von seinem Real Life erzählt, als dass sich ein Vampir über seine letzten Jagdausflüge auslässt. Es kann der gleiche Satz sein sogar. Um bei dem Beispiel zu bleiben: „Ich war noch drauf und dran sie zu überreden, dass ich sie beißen darf, dann musste ich aber zum Bus und zur Arbeit.“ Der erste Teil ist Second Life, der zweite Teil ist Real Life. Im klassischen, „geschlossenen“ Rollenspiel, wäre sowas undenkbar. Da würde die Rollenspielpolizei aus 100km Umkreis mit Blaulicht einfallen.
Natürlich werden jetzt einige sagen, dass das auch ein Satz sein kann, der bei klassischen Rollenspielsessions fallen kann. Stimmt. Bei der Session. Nicht in world. Der Unterschied: Er wird vom Spieler gesagt, und nicht „in character“. Wer den Unterschied nicht kennt, der mag sich das gerne anlesen, das erkläre ich jetzt nicht.
Selbstverständlich ist das mit Informationen über das Real Life so eine Sache. Das Profil in Second Life gestattet eine Seite anzulegen zu Informationen aus dem echten Leben und auch ein Bild einzutragen. Letztendlich kann man es nie genau wissen, aber ich gehe eigentlich zuerst immer mal davon aus, dass wenn jemand dort etwas einträgt, dass es auch stimmt.
Mit Sicherheit gibt es Leute, die sich das ausdenken, was sie da reinschreiben, um jemand anders zu sein, als sie im wirklichen Leben sind. Das macht aber keinen Sinn, denn das juckt keinen. Man wird in world als das genommen, als was man sich in world gibt. RL ist dabei nur Beiwerk und eigentlich irrelevant. Eben weil es auch völlig ausgedacht sein kann.
Jemand auf meiner Freundesliste in SL hat einen schönen Satz auf der Real Life Seite seines Profils: „Don’t ask me about real life, and I don’t tell you lies.“ Den Satz muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen, ich finde ihn verdammt gut. Wenn Du mich etwas fragst zu meinem echten Leben, dann erwarte nicht, dass ich ehrlich bin. Heißt aber andersherum, und das ist genau, wie ich es auch handhabe: Wenn ich etwas aus meinem echten Leben erzähle, also aus freien Stücken, dann ist es die Wahrheit.

Wie gesagt, bei anderen kann man das nicht mit letzter Gewissheit sagen, nur bei sich selbst, oder Leuten, die man wirklich auch außerhalb von SL kennt. Daher ist es irrelevant. Es ist interessiert auch keinen. Klar bekommt man Mitleid, wenn man sagt, man hat eine Erkältung im RL. Aber ob man die wirklich hat? Es ist völlig egal. Aber genau deswegen ebenfalls der Umkehrschluss: Warum sollte man dann lügen, wenn es sowieso irrelevant ist?
Das ganze hört sich jetzt überhaupt nicht einsteigerfreundlich an. Das hört sich für jemanden, der noch nie Rollenspiel gemacht hat, total verwirrend und wahrscheinlich sogar beängstigent an, wie hoch der Grad der Immersion sein kann. Im Gegensatz zu geschlossenem Rollenspiel, wo die Gruppen meistens auch schwerer zu erreichen sind, ist man hier aber völlig frei, wieviel von sich man in den Avatar steckt. Das kann mit der Zeit mehr werden, muss es aber nicht. Das offene Rollenspiel selbst muss man nicht erlernen, oder sich gar Gedanken darüber machen. In dem Moment, wo man einmal die Schwelle überwunden hat, und die virtuelle Realität als in dem Moment gegebene Realität hinnimmt. Wenn man das beherzigt, was ich zum Theme Akzeptanz und Toleranz gesagt habe. Wenn man sich den Satz „Die anderen sind auch hier, weil sie genau das gleiche wollen wie Du!“ verinnerlicht, dann muss man es einfach nur laufen lassen.
Und mit diesem Exkurs vom eigenen Ich in den Avatar und wieder zurück ins reale Leben mit diesem etwas philosophischen Schluss entlasse ich Euch mal und danke Euch vielmals für Eure Aufmerksamkeit.